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Digi-T: Digital Literacy im steirischen Tourismus

Mit Wissen und Kompetenz digitale Herausforderungen entlang der Customer Journey meistern
Thermen- & Vulkanland Steiermark
Mag. (FH) Daniel Binder und Sonja Radkohl, BA, MA von der FH JOANNEUM sprechen über die Potentiale und Hürden der Digitalisierung in ihrem Forschungsprojekt "Digi-T – Digital Literacy im steirischen Tourismus".

Das Projekt "Digital Literacy im steirischen Tourismus – Digi-T" wirft einen Blick hinter die digitale Kulisse entlang der Customer Journey. Warum der Mensch nicht trotz, sondern gerade wegen der Digitalisierung wieder mehr im Mittelpunkt steht, Gäste online nicht immer finden, was sie suchen, und wie man digitale Transformation im Tourismus erforscht, erklären uns Sonja Radkohl, BA, MA und Mag. (FH) Daniel Binder im Gespräch.

TTR: Zu Beginn – was ist mit Digital Literacy eigentlich gemeint? 

Sonja Radkohl: Wir haben zu Beginn des Projektes eine Definition gewählt, mit der wir wissenschaftlich arbeiten können. Diese basiert auf einer Definition der Europäischen Kommission und beschreibt den vertrauten, aber kritischen Umgang mit Technologien der Informationsgesellschaft in Arbeit, Freizeit und Kommunikation. Für uns war vor allem die Drei-Teilung interessant. Zum einen die Arbeit, hierfür sehen wir uns die Betriebe im Tourismus an, dann die Freizeit, also die Bedürfnisse der TouristInnen und dann die digitale Kommunikation, auf die wir einen sehr starken Fokus legen.

TTR: Wie ist es denn ursprünglich zu Projektidee gekommen?

Daniel Binder: Ich habe gesehen, dass es eine Lücke gibt zwischen den Anforderungen von Gästen und dem, was MitarbeiterInnen und UnternehmerInnen können. Digitalisierung kommt oft als Bürde daher – jetzt kommt diese und jene App, jetzt müssen wir auch das noch machen ... Wir wollten uns ansehen, wo diese Lücken sind und ob man man da mit Aus- & Weiterbildung etwas tun kann. Um Digitalisierung nicht als Bürde zu erleben, sondern als Chance – so muss man nicht immer reagieren, sondern kann auch agieren. Es geht primär um das Aufenthaltsthema. Wie können wir es schaffen, das Erlebnis durch smarte Technologien noch ereignisreicher zu machen? Ich bin der Meinung, in dieser Phase haben wir noch Potential. Trotzdem bleibt der Mensch an sich im Tourismus sehr wichtig. Das zeigen auch unsere ersten Forschungsergebnisse. Es geht nicht darum, den Menschen zu ersetzen, sondern das Erlebnis sinnvoll zu ergänzen.

TTR: An wen richtet sich euer Projekt – an das Management, die MitarbeiterInnen oder andere Gruppen?

Sonja Radkohl: An alle – es geht um die Lücke zwischen den Erwartungen der Gäste und den Leistungen der Betriebe und wie man diese Lücke mit Aus- und Weiterbildung schließen kann. Natürlich geht das u. a. an die Führungsebene: Digitalisierung ist ein Zukunftsthema und dafür braucht es für die MitarbeiterInnen mehr Schulungen. Aber es geht uns auch darum, den MitarbeiterInnen im Tourismus aufzuzeigen, dass digitale Kompetenzen nicht erst morgen, sondern schon heute extrem wichtig sind. Wir wollen das mit einem kompetenzorientierten Lernansatz unterstützen. Das ist der Fokus der Karl-Franzens-Universität. 

Daniel Binder: Wir sehen uns hier auch die Curricula von Fachhochschulen und Tourismusschulen an und versuchen herauszufinden, wo sind denn schon Elemente der Digitalisierung eingebaut und wo braucht es noch etwas. Somit können letztlich auch BildungsanbieterInnen vom Projekt profitieren.

TTR: Wie baut ihr euer Projekt methodisch auf und wie geht ihr an die Fragestellung heran?

Daniel Binder: Zu Beginn haben wir ExpertInnen-Interviews geführt, die wir ganz bewusst breit gestaltet zu haben. Einfach um das Thema Digitalisierung grob zu besprechen und ein Gefühl zu bekommen, wo steht denn die Wissenschaft. Daraus haben wir den Forschungsleitfaden entwickelt.

Sonja Radkohl: Um die Bedürfnisse der TouristInnen zu erforschen, haben wir mit einer Social-Media-Analyse begonnen. Wir haben dafür im ersten Schritt unsere Projekt-Region festgelegt – das Thermen- und Vulkanland Steiermark – und analysiert, zu welchen Themen die TouristInnen denn eigentlich posten. Da haben wir herausgefunden, dass vor allem Sehenswürdigkeiten prominent sind und nicht die Region als Gesamtheit. Im Anschluss haben wir noch Follow-up-Interviews mit den Personen geführt, um die Hintergründe zu verstehen. Als zweiten Schritt gehen wir jetzt zu User-Testings über. Wir schauen Personen über die Schulter, wie sie einen Urlaub planen. Durch Corona mussten wir diese online durchführen. Die Vor-Ort-Erlebnisse würden wir gerne mit Diary-Studies noch näher erforschen, aber da warten wir gerade noch ab, wie sich die Situation pandemiebedingt entwickelt.

Daniel Binder: Der zweite Bereich befasst sich mit den Betrieben: Wir gehen zu Partnerbetrieben im Thermen- und Vulkanland Steiermark und machen Prozessanalysen – wir sehen uns an, welche Prozesse gibt es z. B. im Hotel und wo wäre es möglich und sinnvoll, Digitalisierungsschritte zu setzen. Diese Prozessanalysen werden begleitet von Interviews mit MitarbeiterInnen, AbteilungsleiterInnen und GeschäftsführerInnen. Darüber hinaus gestalten wir eine breite quantitative Befragung von MitarbeiterInnen in Betrieben der Region. Der dritte Bereich ist die Bildung, den sich vor allem die KollegInnen der Karl-Franzens-Universität ansehen. Hier haben wir die Curricula der österreichischen Bildungseinrichtungen mit Schwerpunkt Tourismus durchforstet. Zusätzlich führten wir qualitative Interviews mit den LeiterInnen dieser Bildungseinrichtungen in der Steiermark. Eine quantitative Erhebung mit SchülerInnen und TeilnehmerInnen von touristischen Aus- und Weiterbildungsprogrammen wird ebenfalls durchgeführt. 

TTR: Ihr habt ja durch eure Forschung nun schon einige Einblicke und Ergebnisse erhalten. Was waren denn für euch so die überraschendsten Erkenntnisse?

Sonja Radkohl: Wir sehen, dass in den Aus- und Weiterbildungen Digitalisierung bereits ein Thema ist, der Hauptfokus liegt aber noch nicht darauf. Da fragen wir uns natürlich: Muss das jetzt etwas Eigenes sein? Reicht es, wenn das überall ein bisschen mitschwingt? Was wir gesehen haben, ist, dass im Digitalen die Kommunikationskompetenz von MitarbeiterInnen und Führungskräften total wichtig ist. Da haben wir bemerkt, dass hier auch das Menschliche im Digitalen sehr wichtig bleibt. Bei den TouristInnen sehen wir den Fokus ganz konkret auf Sehenswürdigkeiten und gezielten Fragestellungen. Es sind also praktische Sachen, die man gerne digital lösen würde. Das funktioniert bei manchen User-Testings schon sehr gut und die TouristInnen sind total überrascht, was man alles online rausfinden kann. Bei anderen Sehenswürdigkeiten steht dann aber manchmal nicht einmal eine Adresse dabei.

Daniel Binder: Wir haben bei den Interviews und den Betrieben gesehen, dass sich hier die Berufsbilder verändern. Nicht jeder Hotelier muss sich mit Big Data auskennen. Die Frage ist aber trotzdem: Kann ich wahrgenommene Barrieren abbauen? Wie kann ich Digitalisierung innovativ und kreativ für meinen Betrieb nutzen?

TTR: Wo seht ihr noch die größte Hürde für MitarbeiterInnen im Tourismus? Wo steht diese Angst noch zwischen Digitalisierung und Betrieb?

Daniel Binder: Da kann man auch ein bisschen etwas aus dem Pflege-Sektor mitnehmen – dort hat man schon früh mit Robotern Versuche gemacht. Überall dort, wo automatisiert wird, gibt es natürlich Ängste. Weil viele Dinge wegfallen und viele Dinge neu entstehen. Im Tourismus muss sich aber niemand fürchten, dass er oder sie von einem Roboter ersetzt wird. Die Idee ist ja auch, dass beispielsweise mit einer digitalen Gästekarte oder einer digitalen Registrierung viel Aufwand wegfällt und dann an der Rezeption wieder mehr Möglichkeiten für persönlichen Austausch entstehen.

Sonja Radkohl: Ganz generell ist da die Sorge um den Aufwand: Wer ist verantwortlich für die Digitalisierung? Ebenso die Kosten für die Weiterbildung. In dem Bereich sind wir aber auch mittendrin im Erheben und Auswerten – da kommen bestimmt noch weitere Erkenntnisse am Ende des Projektes dazu.

TTR: Andersherum gefragt: Was macht denn die Tourismusbranche schon recht gut?

Daniel Binder: Der Tourismus war sehr früh mit der Digitalisierung vertraut und war eine der ersten Branchen, die den Vertrieb auf digitale Medien verlagert hat. Da hat der Tourismus sehr viel Pionierarbeit geleistet, zum Beispiel was Ratings und Bewertungen betrifft. Ich denke, wo wir noch Aufholbedarf haben, ist, wenn der Gast vor Ort ist. Wir können den Verkauf und die Nachbearbeitung schon sehr gut, aber vor Ort gibt es noch Potenzial. Wir wollen herausfinden, was denn Sinn macht. Ob der vielen Apps und Möglichkeiten weiß das auch der Gast selbst oft nicht.

TTR: Ein Blick in die Praxis – was kann die Praxis von eurem Projekt mitnehmen?

Sonja Radkohl: Wir sind jetzt kein klassisches Praxisprojekt. Wir entwickeln keine App oder fertigen Lösungen. Wir arbeiten da eher auf einer Meta-Ebene und können dann den Betrieben zeigen: Hey, das würde sich der Gast von euch wünschen. Das können auch ganz einfache Lösungen sein, wie zum Beispiel die Adresse auf der Website an der richtigen Stelle anzugeben. Wir können dann auch die Möglichkeiten an Aus- und Weiterbildung aufzeigen, damit wir die Optionen hier verschränken.

Daniel Binder: Ein Thema sind hier natürlich auch die MitarbeiterInnen selbst. Überall liest man vom Fachkräftemangel im Tourismus. Wenn man zeigen kann, dass die Digitalisierung etwas Positives sein kann, dann können wir hier einen Beitrag leisten, diese Arbeitsplätze attraktiver zu machen. Das ist natürlich nicht das alleinige Allheilmittel, aber damit können Betriebe vor allem für junge Leute attraktiver werden. Dennoch, wir machen hier Grundlagenforschungsprojekt und versuchen also erstmal grundsätzliche Forschungslücken zu schließen.

TTR: Wenn wir jetzt an den Tiroler Kontext denken, was kann denn der Tiroler Tourismus von der Steiermark hier lernen?

Daniel Binder: Ich denke, der Tiroler Tourismus und generell Österreich kann von den Projektergebnissen profitieren. Wir haben in der Projektregion, dem Thermen- und Vulkanland Steiermark, einen, sagen wir, sanften Tourismus. Daher wollen wir einen Beitrag zu smarten Lösungen im sanften Tourismus entwickeln. Wenn sich dann eine Region etwas abschauen kann, freut uns das. Meiner Meinung nach ist das das Wesen von Forschungsprojekten. Wissen genieren, auf das andere aufbauen können. Um somit einen Beitrag zu leisten, damit sich daraus Themen weiterentwickeln können.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Das Projekt „Digi-T – Digital Literacy im steirischen Tourismus" wird vom Zukunftsfonds Steiermark (Land Steiermark) gefördert. Im Projekt tätig sind die Institute Gesundheits- und Tourismusmanagement und Journalismus & Public Relations der FH JOANNEUM sowie das Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz. Kooperationspartner sind das Thermen- & Vulkanland Steiermark und die 2-Thermenregion Bad Waltersdorf.

 

Titelbild: © Thermen- & Vulkanland Steiermark

Monica Nadegger MA

Forschungsschwerpunkt
new forms of organizing, digitalization, communication, materiality & tourism
Position bzw. Aufgabe
PhD Studentin

Nach dem Bachelorstudium „Journalismus und PR“ an der FH Joanneum in Graz und dem Master in „Sport-, Kultur- und Veranstaltungsmanagement“ an der FH Kufstein startete Monica Nadegger Ende 2018 am MCI Tourismus und zeitgleich das PhD Studium Management an der Universität Innsbruck. Nach knapp 4 Jahren im Online-Marketing beim TVB Innsbruck als Leiterin des Blog-Redaktionsteams und Social Media Manager und als Mitglied des Doktoratskollegs „Organizing the Digital“ vereint sie am TTR ihr Interesse für Wissenschaft, Tourismus und digitale Kommunikation.

„Als Wissenschaftsplattform für den Tiroler Tourismus schafft ttr.tirol nicht nur eine Schnittstelle für Wissenschaft und Praxis, sondern versucht, Daten und Inhalte aufzubereiten und verständlich und ansprechend darzustellen."

Im TTR Team seit: Anfang 2018

Zuständig für: Content Strategie und Produktion, Website, Social Media

Datum: 21.09.2021