Aufgrund der Corona Krise fokussieren sich viele österreichische Destinationen notgedrungen auf den Inlandsmarkt. Doch wie sieht dieser aus? Wie groß ist das Potential des Inlandsmarktes? Inwiefern könnte er die fehlenden Nächtigungen aus dem Ausland "auffangen"? Und was muss man bei dessen Bearbeitung besonders beachten?
Der Inlandsmarkt ist ein Markt, der vielfach vernachlässigt wird. Wenn wir über den internationalen Tourismus sprechen, so inkludiert dieser immer nur die grenzüberschreitenden Reisen, jedoch nicht die Einheimischen, welche im eigenen Land Urlaub machen. Aufgrund von Corona und geschlossenen Grenzen, wird aber gerade dieser Markt jetzt der entscheidende bzw. vielleicht eben auch der einzige, auf den wir im Sommer 2020 setzen können. EU-weit wurden im Jahr 2017 drei Viertel aller Reisen im Inland verbracht, etwa die Hälfte aller Übernachtungen fielen auf den Inlandstourismus sowie 44% der Ausgaben. Je nach Land ist der Anteil des Inlandstourismus in europäischen Ländern aber sehr unterschiedlich ausgeprägt. So fallen in Rumänien 94% aller Reisen auf Einheimische, in Spanien 91% gefolgt von Portugal (89%), Griechenland (88%), Frankreich (87%) und Bulgarien (86%). Auf der anderen Seite stehen jene Länder, bei welchen der Anteil an Auslandsreisen weitaus höher ausfällt wie Luxemburg (98%), Belgien (80%), Malta (68%) oder Slowenien (62%).
Aber wie wichtig war der Inlandmarkt bisher im österreichischen Sommertourismus?
Im Sommer 2019 kamen 25,6 Millionen Gäste nach Österreich. Diese generierten knapp 80 Millionen Nächtigungen. 33% der Ankünfte bzw. 8,4 Millionen fielen dabei auf Inlandsurlauber sowie 30% bzw. 23 Millionen der Übernachtungen. Könnten diese bisher 30% nun 100% der Betten füllen?
Und wie sah das Reiseverhalten der ÖsterreicherInnen bisher aus?
Sehen wir uns zunächst mal das generelle Potential des Inlandsmarktes an. Wer verreiste in Österreich im Normalfall wohin? Im Jahr 2018 lag der Anteil der Reisenden in Österreich bei durchschnittlich 78% der Bevölkerung bzw. in absoluten Zahlen ausgedrückt bei 5,8 Mio. ÖsterreicherInnen bzw. in Österreich wohnhafte Personen, welche zumindest eine Urlaubsreise ins In- oder Ausland unternommen haben. Besonders hoch war diese Reiseteilnahme bei der Altersgruppe der 15-24 Jährigen mit 89%, während ältere Personen über 65 Jahren mit 59% im Verhältnis weniger verreisten. Die 15-24 Jährigen machen dabei 11% der österreichischen Bevölkerung aus oder knapp eine Million. Die über 65 Jährigen entsprechen 19% bzw. knapp 1,7 Millionen.
Nun aber zurück zu den 5,8 Mio. österreichischen Reisebegeisterten, welche im Jahr 2018 insgesamt über 21 Mio. Urlaubsreisen verbracht haben. Knapp die Hälfte verbrachten ihren Urlaub im Inland und damit steht Österreich für ÖsterreicherInnen an 1. Stelle der Reisedestinationen. Das ist ja schon mal eine gute Nachricht. Die Dauer diese Inlandsreisen war jedoch im Verhältnis zu den Auslandsreisen sehr viel geringer. Während die durchschnittliche Aufenthaltsdauer bei Inlandsurlauben bei 3,5 Nächten lag, verweilte man im Ausland im Schnitt 6,6 Nächte. Dementsprechend ist auch die Zahl der Nächtigungen im Ausland mit 65% deutlich höher als jene im Inland (35%). Ist damit zu hoffen, dass die anderen 50%, welche sich bisher auf Italien (21% der Auslandsreisen), Deutschland (15%), Kroatien (13%), Spanien (6%) und andere Destinationen verteilt haben, im Sommer 2020 in Österreich bleiben (müssen?).
Ebenfalls für einen Sommer in Österreich spricht die Hauptreisezeit der Österreicher. 7,7 Mio. aller Urlaubsreisen bzw. 36% fielen auf den Zeitraum von Juli - September, dabei auch deutlich mehr Reisen mit mindestens vier Übernachtungen (59%) als Kurzreisen (definiert als 1-3 Übernachtung). Im Verglich dazu machte das 2. Quartal (April - Juni) 25%, das 4. Quartal (Oktober - Dezember) 21% und das 1. Quartal (Jänner - März) 18% aus. Angereist wurde im Inland in den meisten Fällen mit dem eigenen PKW (79%). Und am beliebtesten waren - ebenfalls wieder bei Inlandsreisen - unentgeltliche Privatquartieren mit 36%. Zu den wichtigsten Motiven für einen Urlaub im eigenen Land war der Besuch von Bekannten und Verwandten mit 31%, ein Aktivurlaub mit 25%, Erholungsurlaub mit 18%, ein Städteurlaub mit Kultur und Besichtigungen 8% bzw. ein Wellness- oder Schönheitsurlaub mit 7% (11% sonstige Urlaubsmotive). Gerade der Besuch von Bekannten und Verwandten, aber auch Aktivurlaub & Erholung, sind sicher auch nach der Quarantänezeit besonders gefragt.
Wie sah der österreichische Gast in Tirol bisher aus?
Doch schauen wir nun auf Tirol. Im Sommer 2019 waren die beliebtesten Bundesländer der InlandsurlauberInnen die Steiermark (19%), Kärnten (17%) und Salzburg (14%). Tirol folgt erst an 6. Stelle noch hinter Niederösterreich (13%) und Oberösterreich (12%). Damit entschied sich nur jede/r 10. ÖsterreicherIn, der im Inland urlaubte, für Tirol. Insgesamt wurden so in Tirol im Sommer 2019 2,3 Mio Übernachtungen akquiriert, in Salzburg waren es im Vergleich 3,2 Mio., in Bayern 1 Mio. sowie in Südtirol 0,8 Mio. Österreich ist für Tirol somit aber doch der 2. wichtigste Quellmarkt hinter Deutschland, der jedoch den wesentlich größeren Kuchen ausmacht mit 55% Anteil.
Betrachtet man nun die Tiroler Regionen, so waren im Sommer 2019 Innsbruck Tourismus mit 370.000 Übernachtungen und einem Anteil von 16% an allen österreichischen Nächtigungen im Bundesland, Osttirol mit 295.000 Übernachtungen oder 13% sowie das Ötztal mit 132.000 Nächtigungen oder 6% die wichtigsten Zielregionen für österreichsiche UrlauberInnen in Tirol. Dahinter folgten das Kufsteinerland, die erste Ferienregion im Zillertal, Kitzbühel Tourismus und der Achensee.
Überdurchschnittlich hoch war der Anteil in der gehobenen Hotellerie mit 44% (im Gegensatz zu Tirol gesamt mit nur 35%). 3 Stern Hotels machten 14% aus (Tirol gesamt 17%) sowie Ferienwohnungen 14% (Tirol gesamt 29%). Betrachtet man nun auch, aus welchen Bundesländern die Österreich Urlauber im Sommer in Tirol kommen, so entfallen 19% auf Steirer, 17% auf Kärntner, 14% Salzburger, 13% Niederösterreicher, 12% Oberösterreicher, 10% Tiroler, je 7% Wiener und Burgenländer sowie 2% Vorarlberger.
Wie charakterisierte sich der bisherige Inlandsgast in Tirol?
Einerseits war der Stammgästenanteil im Vergleich zu anderen Nationen geringer. Aufmerksam auf die Region wurden die österreichischen Tirol-Gäste vor allem durch das Internet. Für die Unterkunftssuche nutzen sie vor allem Buchungsplattformen, Suchmaschinen sowie Empfehlungen von Freunden/Bekannten. Der Großteil der Gäste buchte die Unterkunft direkt beim Vermieter, per E-Mail oder online. Im Gegensatz zum Tirol-Schnitt buchten österreichische Tirol-Urlauber deutlich kurzfristiger. Die Tagesausgaben fielen im Schnitt etwas überdurchschnittlich aus. Wandern zählte mit Abstand zu den wichtigsten Sportaktivität im Sommer; kombiniert v.a. mit Schwimmen/Baden, Bergsteigen, Radfahren (egal ob Fahrrad, MTB oder E-Bike) und Nordic Walking. Zudem suchten die ÖsterreicherInnen in Tirol nach Erholung in Form von Spaziergängen, besuchten Sehenswürdigkeiten und Naturattraktionen, machten Ausflüge oder besuchten Restaurants. Hauptreisemittel war der eigene PKW und zudem kamen überdurchschnittlicher viele mit der Bahn nach Tirol. (Quelle: T-Mona Sommer 2019)
Stellt sich nun noch die Frage, was die ÖsterreicherInnen an Tirol schätzten. Die Top 10 Gründe für einen Sommerurlaub in Tirol unter ÖsterreicherInnen waren Landschaft & Natur, Berge, das Angebot an Wanderwegen, die Gastfreundschaft, Ruhe, die gute Luft bzw. das Klima, die Qualität der Unterkünfte, Naturattraktionen, Kulinarik als auch die guten Erfahrungen aus der Vergangenheit (Quelle: T-Mona Sommer 2014).
Aus den derzeit zur Verfügung stehenden T-Mona Daten vom Sommer 2019 können wir Angaben zu den österreichischen Gästen machen, die bisher in Tirol Urlaub gemacht haben. Sind all diese Daten aus der letzten Sommersaison auch für 2020 noch gültig? Wahrscheinlich nicht. Denn wir befinden uns in einer ganz neuen Situation. Auch inländische Gäste wissen bisher noch nicht, ob bzw. wann sie ihren Urlaub buchen können. Ob im In- oder Ausland? Wo werden welche Grenzen bis zum Sommer aufgehen? Spanien hat schon mal angekündigt, dass der Tourismus wahrscheinlich erst wieder Ende des Jahres anlaufen wird. Damit könnten viele - bisher mit Zahlen belegbare Faktoren - dieses Jahr anders aussehen. So könnten laut Eva Walter, von der Tirol Werbung, neue Themen in den Mittelpunkt rücken bzw. könnte es zu einer Verschiebung bestimmter Themen kommen.
Aber zurück zur Ausgangsfrage - kann der Inlandsmarkt die Tiroler Sommersaison retten?
Dazu machen wir nun noch einmal eine kurze Berechnung. Im Sommer 2019 zählten wir in Tirol 22,2 Millionen Übernachtungen und 6,2 Millionen Ankünfte bei einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 3,6 Tagen. Dabei fielen 55% der Übernachtungen auf Deutschland - oder absolut ausgedrückt 12,1 Mio. Übernachtungen sowie 11% auf den Inlandsmarkt - oder 2,3 Mio. Übernachtungen. Nur um den Hauptmarkt Deutschland zu ersetzen, bräuchten wir einen Anstieg von 523% bzw. eine Verfünffachung des bisherigen Inlandstourismus. Nimmt man alle Auslandsmärkte zusammen, so müsste die Steigerung des Inlandsmarktes bei +856% liegen. Ob dies wirklich möglich ist, wird derzeit stark diskutiert. Auf alle Fälle werden wir uns auf einen "neuen" Österreich-Gast einstellen müssen, welchen wir selber erst kennen lernen müssen bzw. dürfen.
Titelbild by Paul Gilmore on Unsplash
Dr. Birgit Bosio
Birgit Bosio hat den ersten Diplomjahrgang des MCI Tourismus absolviert und anschließend zwei Jahre in der Marktforschung der Tiroler Werbung gearbeitet. Gemeinsam mit Hubert Siller (MCI) und Michael Brandl (ehemals TW) zeichnet sie für die Entstehung des TTR verantwortlich. 2016 hat sie an der Universität Salzburg promoviert.
“Die Arbeit mit dem TTR ist spannend, da man sich täglich mit neuen Entwicklungen & Trends beschäftigen und ständig am Ball bleiben muss. Gleichzeitig stellt es aber dauernd eine Herausforderung dar, dem Nutzer diese Informationen kundengerecht und in der richtigen Dosis interessant aufzubereiten.”
Im TTR Team seit: November 2006
Zuständig für: Strategie & Konzeption, Tourismusforschung, Content Management, Social Media