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Die Bergsteigerdörfer im Wipptal

Wie aus dem Nichts plötzlich etwas Besonderes wurde
Bergsteigerdörfer Wipptal St. Jodok Gschnitztal Tourismus
Die Region Wipptal ist nicht als tourismusintensive Region bekannt. Dafür positioniert sie sich mit einem sanften Tourismus in unberührter Natur und zählt inzwischen zwei Bergsteigerdörfer.

TTR: Im Wipptal gibt es derzeit mit dem Gschnitztal und St. Jodok/Schmirn/Vals zwei Bergsteigerdörfer. Wann und wieso hat man sich dazu entschlossen, Bergsteigerdorf zu werden und was hat man sich davon erwartet?

Helga Beermeister: St. Jodok mit dem Schmirn- und Valsertal ist schon seit 2012 Bergsteigerdorf. Es ging zu der Zeit jedes Jahr mit den Nächtigungen bergab und es gab auch keine Impulse, die VermieterInnen Anreiz schafften, zu investieren bzw. neue Objekte anzubieten. Die Meinung „wir haben ja nichts zu bieten“ war vorherrschend und es gab wenig Initiative im Tourismus.

Mit der Bewerbung bei den Bergsteigerdörfern hat ein Umdenken stattgefunden, plötzlich wurde das „Nichts“ zu etwas Besonderem. Die GastgeberInnen haben gemerkt, dass man über die Bergsteigerdörfer eine Zielgruppe anspricht, die genau diese Unberührtheit, Ruhe und Naturbelassenheit suchen. Es entwickelte sich ein gewisser Stolz auf die wunderschöne Naturlandschaft in den beiden Tälern. Gleichzeitig gab es durch eine private Initiative eines jungen Bergführers plötzlich einen talnahen Klettersteig, der auch für junges Publikum interessant war. Mit dem Boom des Skitourengehens, gerade auch bei jungen Leuten, konnte man nun auch jugendliche, bergbegeisterte Gäste ansprechen. Die Nächtigungen entwickelten sich stetig nach oben und bald folgten die ersten Investitionen und Neuanmeldungen von Ferienwohnungen. Die Bettenzahl hat sich zwar nicht großartig erhöht, die Auslastung jedoch schon. Von ca. 15.500 Nächtigungen im Jahr 2013 auf ca. 28.000 im Jahr 2019. Besonders erfreulich ist, dass auch die Wertschöpfung gestiegen ist, das Preisniveau ist in fast allen Betrieben merklich angehoben worden.

Nach dem Vorbild von St. Jodok/Schmirn/Vals wollte man im Gschnitztal den gleichen Weg gehen. Die Voraussetzungen waren vorhanden und auch der Wille, in einen naturnahen, sanften Tourismus weiterhin zu investieren – seit 2019 ist das Gschnitztal somit das 2. Bergsteigerdorf im Wipptal.

 

Wipptal Bergsteigerdörfer

TTR: Wie beeinflusst Corona euer Angebot und seht ihr hier mehr Chancen oder Risiken?

Helga Beermeister: Corona hat gezeigt, dass gerade in Krisenzeiten Angebote, die nicht die große Masse ansprechen, sondern eine kleine Zielgruppe, besser bestehen. Zudem richtet sich die Werbung der Bergsteigerdörfer stark an ÖsterreicherInnen, was gerade in der Zeit der Grenzschließung ein Vorteil war. Die beiden Wipptaler Bergsteigerdörfer hatten in den Zeiten, in denen Tourismus möglich war, eine gute Belegung. Manche Bergsteigerdorf-Partnerbetriebe hatten überhaupt kein Minus im Vergleich zu den Vorjahresmonaten Juli, August und September. Die Grundkurse in der Schule der Alm waren im Corona-Sommer ebenfalls besser gebucht als in den Vorjahren.

TTR: Wie seht ihr dem kommenden Tourismusjahr entgegen?

Helga Beermeister: Wie sich der Winter entwickeln wird, lässt sich noch nicht vorhersagen. Ich hoffe, dass die Infektionszahlen bald sinken, damit die Beschränkungen gelockert werden können und Tourismus überhaupt wieder möglich sein wird. Falls sich die Lage bessert, bin ich überzeugt, dass es kurzfristig noch einige Buchungen geben wird, vor allem von WinterurlauberInnen, die keinen klassischen Skiurlaub buchen: Winterwanderer, Schneeschuhwanderer, Langläufer, Skitourengeher. Das alles sind Sportarten, die man im Freien ohne große Massen machen kann – also auch in Corona-Zeiten möglich sind und da haben wir gerade in den Bergsteigerdörfern ein sehr gutes Angebot. Ich gehe allerdings davon aus, dass wir im Winter 2020/21 ein beachtliches Minus hinnehmen werden müssen.

Für Sommer 2021 hoffe ich, dass es durch eine mögliche Impfung Entspannung geben wird. Dann schaut es wieder für ganz Tirol besser aus, denn Fernreisen werden wohl auch nächstes Jahr nur wenige machen und eine Alternative ist dann sicher ein Urlaub in den Bergen. Bergsteigerdörfer haben den Vorteil, dass sie auch bisher schon mit dem geworben haben, was in Zukunft für viele urlaubsentscheidend sein wird: kein Massentourismus, kleinstrukturierte Unterkünfte, viel Natur und Ruhe.

TTR: Welche weiteren Projekte gibt es in der Region, um eure Strategie eines naturnahen Tourismus konsequent umzusetzen?

Helga Beermeister: Bereits seit 5 Jahren bieten wir ein in Tirol einzigartiges Angebot von Aktivwochen mit Krankenkassenzuschuss. Hier verbinden wir Bewegung mit Entspannung und gesunder Ernährung, um präventiv Körper & Geist zu stärken. Die meisten Deutschen Krankenkassen zahlen hierzu einen Zuschluss.

Neu ist seit heuer auch unser Mobilitätsangebot Gästekarte. Diese dient den Gästen nun als Fahrkarte für alle öffentlichen Verkehrsmittel in der Region inklusive S-Bahn zwischen Innsbruck und Brenner. Durch die Übermittlung vor Anreise ist somit auch die An- und Abreise ab Innsbruck mit den Öffis inkludiert.

Im Rahmen der Schule der Alm bieten wir ab Sommer 2021 Kräuterkurse im Bergsteigerdorf Schmirn an, wo die Gäste teilweise im 2020 generalsanierten Alpenblumengarten sind. Weiters haben wir neue Freiwilligenprojekte und ein Bergwaldprojekt in unserem Angebot. Hierfür haben wir auch schon einige Buchungen erhalten.

Und derzeit arbeiten wir daran, Naturpark zu werden. Hier befinden wir uns allerdings noch am Beginn und starten demnächst mit einer Potenzialstudie.

Helga Beermeister Tourismusverband Wipptal Bergsteigerdörfer Schule der Alm

Helga Beermeister, Geschäftsführung TVB Wipptal

Helga Beermeister ist bereits seit 1986 im TVB Wipptal tätig, seit 2019 als Geschäftsführerin. Es ist ihr Anliegen, einen naturverträglichen Tourismus zu fördern und für die einheimische Bevölkerung einen Mehrwert zu schaffen. Für die Zukunft sieht sie großes Potenzial in der Schaffung eines Naturparks im Wipptal.

 

Datum: 17.11.2020