Im Jänner 2020 publizierte die UNWTO die aktuellen Tourismusergebnisse für das vergangene Jahr 2019. Ein Plus von 4% auf 1,5 Milliarden internationale Touristenankünfte gab es zu verzeichnen. Das war zwar ein geringerer Anstieg als noch die Jahre zuvor - 2017 waren es +7% und 2018 +6%-, aber trotzdem zufriedenstellend. Auch der Ausblick für das heurige Jahr war noch recht rosig. So gingen Experten von einem Wachstum von +3 bis +4% aus. Doch kann kam das Virus...
Erstmals in der Geschichte des internationalen Tourismus wurden weltweit Grenzen geschlossen. So berichtete die UNWTO, dass alle Länder dieser Welt die Reisefreiheit ihrer BürgerInnen beschränkt haben, mache komplett, indem die Grenzen vollständig geschlossen wurden, andere mit Regions-spezifischen Beschränkungen oder Beschränkungen der Flugverbindungen. Erst da wurde uns bewusst, wie wichtig einerseits das Thema Sicherheit und andererseits der Transport für den Tourismus sind. "No tourism without transportation" habe ich meinen Studierenden immer wieder gepredigt. Wie gravierend das jedoch werden kann, war mir wahrscheinlich selbst nicht bewusst. Interessant ist zudem zu betrachten, wie schnell diese Reisebeschränkungen durchgezogen wurden. Waren es mit Stand 9. März 2020 noch "rein" Regions-spezifische Beschränkungen sowie andere Arten von Maßnahmen, hatte bis zum 20. April 2020 fast jedes zweite Länder dieser Welt Grenzen vollständig oder teilweise geschlossen. Inzwischen sind es gar drei Viertel aller Länder. Viele Flugverbindungen wurden zudem teilweise oder vollständig eingestellt.
Derzeit liegen die Zahlen für das 1. Quartal - sprich Jänner bis März 2020 - vor. Wir sprechen hier weltweit von einem Einbruch von -22%. Besonders stark war dieser klarerweise in der Region Asien und Pazifik mit -35%. Betrachtet man zudem die monatliche Entwicklung, so schrieben die meisten UNWTO Regionen im Jänner und Feber noch schwarze Zahlen. Nur in der Region Asien und Pazifik gab es bereits im Jänner einen leichten Rückgang von -2%, im Feber von bereits -37%. In allen Regionen brach der internationale Tourismus jedoch im März ein. -64% waren es in der Region Asien und Pazifik, -60% in Europa, -46% in Amerika (inkludiert Nord- und Südamerika), -44% in Afrika sowie -41% im Mittleren Osten.
Während die UNWTO am 26. März 2020 noch von einem möglichen Einbruch der internationalen Touristenankünfte von 20-30% für das Jahr 2020 sprach, waren es am 7. Mai 2020 bereits -60 bis -80%. Ein verheerendes Bild für eine Branche, welche bisherige Krisen immer recht gut übertaucht hatte. Wenn man da an die Ereignisse von 9/11 im Jahr 2001 denkt, die SARS Epidemie im Jahr 2003 oder die globale Finanzkrise 2009, dann sind diese Krisen in der Statistik erkennbar. 2001 stagnierte der internationale Tourismus (+0,1%), kam im Jahr darauf aber wieder mit immerhin +3% zurück. Die SARS Epidemie schlug im Jahr 2003 mit -0,4% zu Buche, gefolgt jedoch von einem starken Jahr 2004 (+9,4%). Die globale Finanzkrise steckt der Tourismus mit -4% im Jahr 2009 noch recht gut weg. Auch im darauffolgenden Jahr verzeichnete man wieder ein Wachstum von +6,7%. Wenn man sich dann aber die aktuelle Prognose für 2020 ansieht, merkt man gleich, dass wir hier von einer ganz anderen Art der Krise sprechen. Waren die vorhergehenden - wenn auch von globaler Auswirkung - zumeist doch regional weitaus stärker ausgeprägt, so sprechen wir hier erstmals von weltweiten Reisebeschränkungen, wie es sie seit dem Beginn des internationalen Tourismus nach dem 2. Weltkrieg so noch nie gegeben hat. Während sich früher die Reiseströme auch bei regionalen Krisen lediglich verschoben hatten, gibt es derzeit kaum mehr eine Möglichkeit, auf alternative Destinationen auszuweichen.
Die aktuellen Prognosen der UNWTO beziehen sich auf drei unterschiedliche Szenarien. Diese hängen jeweils mit dem Zeitpunkt der Grenzöffnungen ab. Bei einer schrittweisen Öffnung der Grenzen und Aufhebung der Reisebeschränkungen im Juli geht die weltweite Tourismusorganisation von einem Einbruch von -58% aus. Sollten die Grenzen im September aufgehen, wären es -70%. Und bei einer Grenzöffnung im Dezember käme man auf -78%. Laut ExpertInnen wird sich der Inlandstourismus weitaus früher erholen. 45% gehen davon aus, dass sich ihre Regionen im Sommer (Juli-September) wieder erholen werden; für den internationalen Tourismus sind es hingegen nur 24%. 39% glauben jedoch, dass sich die Branche erst 2021 wieder ganz erholen wird. Unterschiedlich fallen diese Einschätzungen auch je nach Region aus. Am optimistischsten ist derzeit das Bild im Mittleren Osten: dort gehen immerhin 30% von einer Erholung zwischen Mai und Juni 2020 aus. Am pessimistischsten ist das Bild in Amerika, wo jeder zweite meint, der internationale Tourismus würde sich erst 2021 wieder erholen.
Definitive Einschätzungen sind derzeit jedoch noch schwierig. So gibt die UNWTO zu, dass derzeit nicht klar ist, wie lange uns diese Krise noch begleiten wird. „What we don‘t know … we don‘t know when we will see the end of this crisis." Man weist jedoch darauf hin, dass es dieses Jahr einen Rückgang von 1 Milliarde an internationalen Ankünften, 1 Billion an Exporterlösen aus dem Tourismus und 100 bis 120 Millionen Jobs am Spiel stehen könnten. Es gelte nun, besonders die klein- und mittelständischen Betriebe im Tourismus zu unterstützen.
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Dr. Birgit Bosio
Birgit Bosio hat den ersten Diplomjahrgang des MCI Tourismus absolviert und anschließend zwei Jahre in der Marktforschung der Tiroler Werbung gearbeitet. Gemeinsam mit Hubert Siller (MCI) und Michael Brandl (ehemals TW) zeichnet sie für die Entstehung des TTR verantwortlich. 2016 hat sie an der Universität Salzburg promoviert.
“Die Arbeit mit dem TTR ist spannend, da man sich täglich mit neuen Entwicklungen & Trends beschäftigen und ständig am Ball bleiben muss. Gleichzeitig stellt es aber dauernd eine Herausforderung dar, dem Nutzer diese Informationen kundengerecht und in der richtigen Dosis interessant aufzubereiten.”
Im TTR Team seit: November 2006
Zuständig für: Strategie & Konzeption, Tourismusforschung, Content Management, Social Media
Datum: 15.05.2020