Im Zuge der Lehrveranstaltung "Sustainability & Tourism" im 3. Semester des Master-Programs "Entrepreneurship & Tourism" beschäftigten sich die Studierenden in einer individuellen Reflexionsarbeit mit der Frage, ob die COVID-19 Krise die Nachhaltigkeitsbestrebungen im Tourismus vorantreiben oder eher verhindern. "Back to business as normal or transformative opportunity" - war die konkrete Aufgabenstellung.
"Back to business as usual" oder Transformation der Branche?
"The world had to stop in order not to fall." (Niewiadomski, 2020, S. 654)
Die Covid-19 Pandemie hat bereits einiges verändert. Sprachen wir vor 2 Jahren noch von Overtourism, war das Hauptthema kurze Zeit später das Phänomen "Undertourism" oder gar "Zero tourism" (Romagosa, 2020). Eine Studentin bringt es sehr gut auf den Punkt, indem sie die Überschrift für ihre Reflexionsarbeit folgendermaßen wählt: "Sustainability & Tourism – how can we return to normal, when the normal we had was part of the problem?"
Im aktuellen Reiseverhalten sehen wir, dass wir anstelle von vielen Kurztrips wieder vermehrt längere Aufenthalte in näher gelegenen Destinationen verzeichnen. Zudem wirkte die Krise als Katalysator für den bereits Jahre vor der Krise eingesetzten Digitalisierungstrend. Hier wurden kontaktlose und nahtlose Reiseerlebnisse wie z.B. Online-Systeme für Buchungs- und Bezahlungssysteme oder Besucherlenkung geschaffen (Weltbank, 2021). Auch der MICE Bereich hat sich drastisch verändert und virtuelle Meetings ersetzen vielfach Geschäftsreisen, Konferenzen, und andere Veranstaltungsformate. Das alles schont das Klima. Doch werden diese Veränderungen auch langfristig Bestand haben? Werden wir uns wirklich vom Massentourismus abwenden und auf Dauer ruhigere, entlegenere Gebiete präferieren? Oder wird die unterdrückte Reiselust wieder zu einem Boom der Flugreisen und einer Rückkehr des klassischen Massentourismus führen? Wird sich der Trend zu kleineren Unterkunftseinheiten, Selbstversorger-Modellen und Camping, die mehr Privatsphäre und Sicherheit bieten, auch langfristig durchsetzen?
Hierzu gibt es in der Literatur konträre Ansichten. Während viele die Krise als Chance für den Tourismus ansehen, um weitreichende strukturelle Veränderungen einzuleiten (Becken, 2020; Benjamin et al., 2020; Gillani, 2021; Higgins-Desbiolles et al., 2021; Rastegar et al., 2021; Romagosa, 2020), sehen andere diesen Wertewandel sehr kritisch. Sie sprechen von "green oder eco fatigue" oder sehen eine große Problematik im Bereich Greenwashing. Gerade nach Jahren der Einschränkung würde es eine Explosion der Nachfrage geben (Jurado, 2020) und man würde sich mehr auf den wirtschaftlichen Aufschwung, die Rückkehr zu Nächtigungszahlen wie im Referenz-Jahr 2019 und Gesundheitsaspekte konzentrieren (GlobeScan, 2020).
"Tourism and all other industries need to reset today."
Doch es braucht einen Mindset-shift, sind sich die Studierenden einig. Dies entspricht der Forderung der OECD (2021): "A paradigm shift in perceptins of tourism 'success' is required across all levels of government and on behalf of all stakeholders. Success should not be judged on visitor numbers alone, but rather from a more holistic perspective that considers the positive impacts that tourism can deliver at the destination on environmental and social levels." Die Rückkehr zum "old normal" stellt für die junge Generation damit keine Option dar. Nachhaltiger Tourismus werde ihrer Ansicht nach zu einer gesellschaftlichen Norm. Gleichzeitig stellt aber genau dieser Mindset-shift auf allen Ebenen auch die größte Herausforderung dar. Diese Transformation beinhaltet auch die Frage, wie wir künftig Erfolg im Tourismus messen. Aufgrund fehlender Daten orientieren wir uns nach wie vor sehr an Nächtigungszahlen und Rekordergebnissen. Hier braucht es dringend realistische Alternativen, wie das Wohlergeben der Einheimischen, die Minimierung negativer ökologischer Auswirkungen sowie soziale Gerechtigkeit.
Tourist - Host - Planet
Lange Zeit haben wir - ganz nach dem Motto "Der Kunde ist König" - uns ausschließlich auf die Zufriedenheit der KundInnen konzentriert und dabei die Einheimischen, egal ob in den Tourismus involviert oder nicht - sowie die MitarbeiterInnen zu wenig beachtet. Doch gerade das Tourismusbewusstsein, die Gesinnung der Einheimischen sowie der MitarbeiterInnen spielt eine zentrale Rolle für die Destinationsentwicklung. Wie gehen wir mit dem Fachkräftemangel um bzw. wie können wir die Arbeit im Tourismus wieder attraktiv machen? Was muss staatlich vorgegeben werden? Und haben Regierungen, die derzeit mit dem Corona-Management, Impflicht und der Erhaltung der kritischen Infrastruktur beschäftigt sind, überhaupt Zeit dafür, sich für Maßnahmen zur Umsetzung der Klimaziele einzusetzen?
Viele Studien zeigen das steigende Umweltbewusstsein, die Forderung nach nachhaltigeren Unternehmen (Green Pressure), Produkten und Dienstleistungen sowie eine höhere Preisbereitschaft. Laut Booking.com (2021) wollen 61% der internationalen Reisenden dies aufgrund der Covid-19 Krise in Zukunft nachhaltiger reisen und sogar 80% geben an, eine nachhaltige Unterkunft buchen zu wollen. Der Gast sucht keinen Overtourism, sondern individuelle Erlebnisse, häufig wieder vermehrt in der Natur (Orindaru et al., 2021) sowie in nahe gelegenen Destinationen (Romagosa, 2020). Gerade wenn es um den Urlaub geht, klaffen jedoch die Absicht und tatsächliches Verhalten immer noch eklatant auseinander. Gute Absichten ja, konkretes Verhalten nein. In der Wissenschaft wird dieses Phänomen als "Attitude-Behaviour Gap" (siehe Masterarbeit von Daniela Nirschl) bezeichnet. Ebenso stellt sich das Problem, dass weder unter ExpertInnen noch unter KonsumentInnen eigentlich klar ist, was nachhaltiges Reisen eigentlich impliziert.
Literaturnachweis:
Becken, S. (2020). Tourism desperately wants a return to the ‘old normal’ but that would be a disaster. The Conversation. http://theconversation.com/tourism-desperately-wants-a-return-to-theold-normal-but-that-would-be-a-disaster-154182
Benjamin, S., Dillette, A., & Alderman, D. H. (2020). “We can’t return to normal”: committing to tourism equity in the post-pandemic age. Tourism Geographies, 22(3), 476–483. https://doi.org/10.1080/14616688.2020.1759130
Gillani, S. (2021, June 21). A new era of sustainable travel prepares for take-off. World Economic Forum. https://www.weforum.org/agenda/2021/06/new-era-sustainable-travel/
GlobeScan – SustainAbility Survey. (2020). The 2020 Sustainability Leaders Survey. 2020 Sustainability Leaders Report & Webinar | GlobeScan Survey
Higgins-Desbiolles, F., Bigby, B. C., & Doering, A. (2021). Socialising tourism after COVID-19: Reclaiming tourism as a social force? Journal of Tourism Futures, ahead-of-print(ahead-ofprint). https://doi.org/10.1108/JTF-03-2021-0058
Jurado, E. (2020). Propuestas de Reflexión desde el Turismo frente al Covid-19. Universidad de Malaga.
Niewiadomski, P. (2020). COVID-19: from temporary de-globalisation to a re-discovery of tourism? Tourism Geographies, 22(3), 651-656, 10.1080/14616688.2020.1757749
OECD. (2021). OECD Tourism Trends and Policies 2020. https://www.oecd-ilibrary.org/sites/82b46508-en/index.html?itemId=/content/component/82b46508-en
Orîndaru, A., Popescu, M.-F., Alexoaei, A.P., Caescu, S,.-C., Florescu, M.S., Orzan, A.-O. (2021). Tourism in a Post-COVID-19 Era: Sustainable Strategies for Industry’s Recovery. Sustainability 13, 6781. https://doi.org/10.3390/su13126781
Rastegar, R., Higgins-Desbiolles, F., & Ruhanen, L. (2021). COVID-19 and a justice framework to guide tourism recovery. Annals of Tourism Research, 91, 103161. https://doi.org/10.1016/j.annals.2021.103161
Romagosa, F. (2020). The COVID-19 crisis: Opportunities for sustainable and proximity tourism. Tourism Geographies, 22(3), 690–694. https://doi.org/10.1080/14616688.2020.1763447
Weltbank. (2021). Tanzania Economic Update: How to Transform Tourism into a More Sustainable, Resilient and Inclusive Sector. World Bank.
Dr. Birgit Bosio
Birgit Bosio hat den ersten Diplomjahrgang des MCI Tourismus absolviert und anschließend zwei Jahre in der Marktforschung der Tiroler Werbung gearbeitet. Gemeinsam mit Hubert Siller (MCI) und Michael Brandl (ehemals TW) zeichnet sie für die Entstehung des TTR verantwortlich. 2016 hat sie an der Universität Salzburg promoviert.
“Die Arbeit mit dem TTR ist spannend, da man sich täglich mit neuen Entwicklungen & Trends beschäftigen und ständig am Ball bleiben muss. Gleichzeitig stellt es aber dauernd eine Herausforderung dar, dem Nutzer diese Informationen kundengerecht und in der richtigen Dosis interessant aufzubereiten.”
Im TTR Team seit: November 2006
Zuständig für: Strategie & Konzeption, Tourismusforschung, Content Management, Social Media
Titelbild: Mantas Hesthaven on Unsplash
Datum: 13.04.2022