TTR: Was bedeutet Circular Economy und welche Grundsätze stecken dahinter?
Anna Köhl: Die Circular Economy ist ein relativ neues Wirtschaftsmodell, das auf die Gestaltung einer positiven und lebenswerten Zukunft abzielt. Es bietet enorme Chancen für gesundes Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen und steht damit im Gegensatz zu unserem heutigen linearen „take-make-waste“-System, welches größtenteils auf der einmaligen Nutzung von Ressourcen basiert und zu großen Mengen Abfall und anderen systemschädlichen Effekten führt. Im Kern basiert das Modell auf drei Grundsätzen:
- Abfall und Verschmutzung, wie wir sie heute kennen, werden eliminiert.
- Produkte und Materialien werden in Kreisläufen gehalten – immer mit Fokus auf der höchstmöglichen Werterhaltung.
- Natur wird regeneriert.
Die Circular Economy entkoppelt dabei wirtschaftliche Aktivität vom Verbrauch endlicher Ressourcen und ist, ergänzend zur Energiewende, der zentrale Baustein, um die Klimaneutralitätsziele bis 2050 zu erreichen.
TTR: Was genau habt ihr mit endlich. geplant?
Anna Köhl: Die Circular Economy entwickelt sich nicht von allein. Aktives Handeln durch Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ist gefragt. Und hier setzten wir mit endlich. an: Wir unterstützen Menschen, Unternehmen und Organisationen, zukunftsfähigen Wandel zu gestalten – durch Beratungs- und Bildungsangebote:
Unsere Beratungsleistungen umfassen vier Felder. Diese reichen von ersten Impulsen, um die Circular Economy zu verstehen (Inspire), über die Analyse des zirkulären Status-Quo sowie die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle (Explore and Ideate), bis hin zur Ausarbeitung und Umsetzung zirkulärer Unternehmensstrategien (Transform).
Mit unserem Bildungsprogramm wollen wir einen weiteren Hebel der kreislaufwirtschaftlichen Transformation bedienen. Denn nur durch die Vermittlung von Wissen, neuen Denkweisen und umsetzungsorientierten Methoden und Tools kann Wandel tatsächlich gelingen. Aktuell arbeiten wir an der Erstellung eines interaktiven E-Learning-Formats, das auch im Rahmen der Bildungskarenz absolviert werden kann.
Was die Zukunft für endlich. darüber hinaus noch bringt ist offen. Klar ist: wir wollen unseren Beitrag zu einer positiven zirkulären Welt leisten und freuen uns auf neue Kooperationen und Projekte.
TTR: Gibt es auch im Tourismus bereits Best Practice Beispiele, welche den Ansatz der Kreislaufwirtschaft erfolgreich umsetzen?
Anna Köhl: Die Circular Economy wurde lange Zeit vor allem als Zukunftsmodell für das produzierende Gewerbe betrachtet, doch mittlerweile hält das Konzept auch im Dienstleistungssektor – und somit auch im Tourismus – Einzug. Zirkuläre Ansätze bieten effektive Möglichkeiten, natürliche Ökosysteme – von welchen Tourismusbetriebe ja maßgeblich abhängig sind – zu regenerieren. Gleichermaßen bietet die Circular Economy umfassende Chancen, Ressourcen entlang der touristischen Wertschöpfungskette – und damit Kosten – einzusparen und neue Umsatzströme zu generieren. An der Schnittstelle zwischen Lieferanten und Konsumenten können Tourismusbetriebe dabei eine einflussreiche Multiplikatoren-Rolle zur Sensibilisierung und Umsetzung von zirkulären Konzepten einnehmen.
Bereits heute besteht eine Reihe von Best Practice Beispielen entlang der touristischen Wertschöpfungskette, welche Betriebe, Destinationen und Lieferanten umfassen:
- Das Green Solution House in Dänemark, beispielsweise, positioniert sich als lebendes Circular Economy Labor. Das 4-Sterne-Hotel mit Konferenzzentrum verfolgt einen ganzheitlichen, nachhaltigen und kreislaufwirtschaftlichen Ansatz mit Fokus auf nahezu alle Aspekte des Hotelbetriebs. Einige der Ansätze: die eigene Pyrolyseanlage verwandelt organische Abfälle in Strom und Wärme, das ehemalige Schwimmbad wurde als hochisolierter Energiespeicher für überschüssige Wärme umfunktioniert, durch eine App können Gäste auf Daten zum eigenen Energieverbrauch zugreifen, und im Spa-Bereich wird die natürliche Wiederaufbereitung von 500l Grauwasser pro Tag erlebbar gemacht.
- Ein weiteres Best Practice Beispiel sind die Circular Economy Ansätze der Iberostar Guppe (über 100 Hotels in 16 Ländern): Neben der Dekarbonisierung des Betriebs und der Lieferkette, mit dem Ziel bis 2030 CO2-neutral zu sein, setzt die Gruppe auf ein weiteres Kernprinzip der Circular Economy: die Regeneration natürlicher Ökosysteme. So sind 25% ihrer Ressort-Flächen in der dominikanischen Republik für Wiederbegrünung vorgesehen. Sie haben die Regel, dass für jede durch Gebäude beanspruchte Bodenfläche eine dreimal so große Fläche durch Mangroven wiederbegrünt wird.
- Doch auch LieferantInnen setzen zirkuläre Prinzipien bereits heute um: das Wiener Start-Up MATR bietet die Lieferung, Installation und Rücknahme von Premium-Matratzen an. Zirkuläres Design erlaubt es, Matratzen – am Ende ihres ersten Lebenszyklus – in ihre Einzelkomponenten zu zerlegen und den Großteil davon wiederzuverwenden bzw. zu recyclen. Dieser Geschäftsmodell-Ansatz ermöglicht es, im Vergleich zu herkömmlichen Matratzen in gleicher Qualität, den CO2-Ausstoß um bis zu 50% zu reduzieren.
TTR: Wo können sich Interessierte näher über dieses Thema informieren?
Anna Köhl: Wer gerne mehr über die Circular Economy und ihre Chancen erfahren will, kann sich natürlich gerne direkt an uns wenden. Wir wollen in Zukunft noch stärker auf die zirkulären Chancen für touristische Betriebe und Destinationen eingehen. Unser Bildungsprogramm, welches noch dieses Jahr online gehen wird, ist eine gute Möglichkeit, sich mit Grundlagen, Best Practice Beispielen, Tools und Methoden der Circular Economy zu beschäftigen. Daneben publiziert insbesondere die Ellen MacArthur Foundation – der Thought-Leader der Circular Economy – jede Menge Wissen, Best Practice Beispielen, Videos und Podcasts auf ihrer Website.
Außerdem findet vom 05.-17. Mai 2023 in der Bäckerei in Innsbruck die Circular Design Week Tirol statt – initiiert von der Standortagentur Tirol. Neben der Ausstellung des Bundespreises für Ökodesign finden einige spannende Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen und Workshops statt.
Anna Köhl, Co-Founderin von endlich.
Anna Köhl absolvierte ihren Bachelor am MCI-Tourismus und ihren Master im strategischen Management an der Universität Innsbruck. Ihre Dissertation schreibt sie zum Thema Circulare Geschäftsmodelle und hat dafür auch ein Fellowship der Ellen MacArthur Foundation erhalten. Als Unternehmensberaterin arbeitete sie bei Systemiq Ltd. in München und Innovative Management Partner in Innsbruck. Anfang 2023 hat sie gemeinsam mit Simon Tumler endlich. gegründet und widmet sich nun ganz dem Thema der circularen Transformation.
Datum: 22.03.2023
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